Inklusion

Inklusion 

Auf dem Weg vom Gemeinsamen Unterricht zur Inklusion
am Beispiel der Ernst-Reuter-Schule II in Frankfurt am Main

​​Eine Schule für alle
Vor über 20 Jahren entschied sich die Ernst-Reuter-Schule II (ERS II) dafür, eine Schule für alle zu sein. Konsequenterweise ging man in der Folge daran, Kinder mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen aufzunehmen. Erklärtes Ziel war und ist, die Schülerinnen und Schüler optimal auf das Leben vorzubereiten, das schließt die Erreichung des bestmöglichen Schulabschlusses ein. Dabei ist völlig unerheblich, mit welcher Empfehlung oder mit welcher Art sonderpädagogischen Förderbedarfs die Kinder an die Schule kommen. Um tatsächlich integriert arbeiten zu können, ist eine sinnvolle Zusammensetzung der Klassen nötig.
Die Schule lädt deshalb alle interessierten Kinder und ihre Eltern zu einem Kennenlerngespräch ein. Anschließend werden pro Jahrgang vier Partnerklassensysteme gebildet – je eine Regelklasse und eine integrativ arbeitende Klasse bilden ein Tandem. Die doppelte Klassenführung von Regellehrer und Förderlehrer von Klasse 5 bis 10 sichert eine intensive Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern und ermöglicht zugleich die Nutzung der förderpädagogischen Beratungskompetenz für die Kinder der Regelklasse. Die Klassen unternehmen gemeinsame Ausflüge und Klassenfahrten, der Schulskikurs in Klasse 7 wird gemeinsam absolviert. Und so wird vielen (Regel-)Schülerinnen und Schülern erst in der 9. Klasse angesichts der Abschlussprüfungen bewusst, dass Klassenkameraden einen etwas anderen Bildungsweg gehen als sie.



Gemeinsamer Unterricht und individuelle Förderung
Dass Kinder unterschiedliche Bildungswege innerhalb eines Klassenverbandes absolvieren, ist Prinzip einer integrierten Gesamtschule. Die ERS II zeigt, wie erfolgreich Schülerinnen und Schülern arbeiten, wenn sie die ganze Vielfalt unserer Gesellschaft in ihren Klassen erleben und damit selbstverständlich umgehen lernen.
In den Klassen 5 und 6 arbeiten die Kinder ausschließlich im Klassenverband. Um der Heterogenität der Lerngruppen gerecht zu werden, stehen den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Aufgabenformate bzw. Aufgaben auf verschiedenen Niveaus zur Verfügung. Alle arbeiten am gleichen Thema, alle präsentieren ihre Ergebnisse, geben und erhalten Feedback von ihren Klassenkameradinnen und den Lehrkräften. Haben sich die Kinder kennengelernt, können sie sehr genau einschätzen, was für ihren Nachbarn eine akzeptable oder auch eine sehr gute Leistung ist und vermitteln dies in ihren Rückmeldungen. Dabei ist es für sie völlig unerheblich, welchen „Förderbedarf" das andere Kind hat. Ab Klasse 7 findet eine Differenzierung in E- und G-Kurs im Englisch- und Mathematikunterricht statt. Die Klassen werden jedoch überwiegend weiter gemeinsam klassenintern differenziert unterrichtet.



Förderprogramme und Arbeit an den persönlichen Stärken
Darüber hinaus gibt es vielfältige Förder- und Spezialisierungsangebote für alle Schülergruppen. Schwerpunkte sind u.a. Diagnostik bzw. Förderung von LRS und Dyskalkulie, Kurse für Deutsch als Zweitsprache sowie Lebenswelt- und Arbeitsweltkurse. Im Rahmen des Arbeitslehreunterrichts in den schuleigenen Werkstätten und der Wahlpflichtkurse finden die Schülerinnen und Schüler Angebote, die ihren persönlichen Neigungen entsprechen, in denen sie ihre persönlichen Stärken weiter entwickeln können.
Als Beispiel sei hier die Schülerfirma genannt, die den Eine-Welt-Laden betreibt, Catering anbietet und im Übrigen mehrheitlich von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemanagt wird. Andere Schülerinnen und Schüler wählen beispielsweise eine zweite oder dritte Fremdsprache oder nehmen an den Austauschprogrammen mit Frankreich, den USA oder England teil.




Multiprofessionelle Teams
Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Unterrichts an der ERS II hat die Arbeit in multiprofessionellen Teams, die gemeinsam die Schullaufbahn der Kinder begleiten. Die Kooperation von Förder- und Regellehrern schärft den Blick auf das einzelne Kind und seine Bedürfnisse. Das gleichberechtigte Zusammenwirken der verschiedenen Lehrkräfte ist eine Voraussetzung für das erfolgreiche Arbeiten und beeinflusst die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler: Förderlehrer gehören zum Team der Erwachsenen, die mich als Schüler auf meinem Bildungsweg mit ihren verschiedenen Spezialisierungen unterstützen. Das gilt für die Kinder mit Förderbedarf genauso wie für die Regelkinder der Partnerklasse. Die Sozialpädagogen bringen ihre Sicht auf das Miteinander und den Einzelnen ein, thematisieren u.a. soziales Lernen und Gewaltprävention. Die Schulsozialarbeiter bringen ihre Expertise u.a. bei der beruflichen Orientierung ein. Therapeutinnen und Psychologen bieten neben der individuellen Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler auch kollegiale Beratung und Elternberatung an und werden vielfältig in präventive Maßnahmen eingebunden.




Eltern – Experten für ihr Kind
Neben der schulinternen Kooperation ist die Zusammenarbeit mit den Eltern eine weitere Bedingung dafür, allen Kindern gerecht zu werden. Schon zu Beginn der 5. Klasse werden Lernplangespräche mit allen Eltern und ihren Kindern geführt. Die Gespräche setzen bei den Stärken der Kinder an. Die Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt und erleben Eltern und Lehrer als Partner, die sich für sie und ihren erfolgreichen Bildungsweg einsetzen. Sie erleben sich selbst als Experten für ihre bisherige Schullaufbahn. Ihre Meinung ist gefragt, wenn es um die Festlegung persönlicher Ziele geht, die in einem Individuellen Lernplan verankert und regelmäßig evaluiert werden. Eigentlich erübrigt es sich zu erwähnen, dass auch die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf von Anfang an ihren Lernplan mitgestalten und Verantwortung für seine Umsetzung übernehmen. Damit wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe angebahnt, die sich während der gesamten Schulzeit weiter entwickelt.



Erfolgsmodell Ernst-Reuter-Schule II
Die Hessische Landesregierung verweist auf das 'Modell Reuter' gleich an mehreren Stellen in ihrem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Mittlerweile hat sich die ERS II mit anderen Schulen im Frankfurter Norden in einem Verbund zusammengeschlossen, um ihr Knowhow weiterzugeben, z.B. an Schulen, die gerade mit der inklusiven Beschulung beginnen.
...% der Absolventen verließen im letzten Jahr die Schule mit einer Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe, mit einem Realschulabschluss, mit dem qualifizierten Realschulabschluss, erreichten einen qualifizierter Hauptschulabschluss, einen Hauptschulabschluss und einen Berufsorientierten Abschluss. o.A.?
Zahlen ergänzen!!



Der hessische Weg zur Umsetzung von Inklusion
Die seit 2012 geltende VOSB (Verordnung über Unterricht, Erziehung und sonderpädagogische Förderung...) weicht mit ihren Richtlinien die an der ERS II erprobten Bedingungen für inklusive Beschulung auf und torpediert wichtige Grundlagen der Arbeit.
Förderlehrer sind künftig nicht mehr Teil des Kollegiums. Sie werden an Beratungs-und Förderzentren (BFZ) versetzt und stundenweise rückabgeordnet. Die Arbeit an verschiedenen Einsatzorten erschwert eine kontinuierliche Arbeit und die so wichtige Kooperation mit den Kollegen. Die Rolle der Förderlehrer verändert sich, und zwar auch im Bewusstsein der Schülerinnen und: Förderlehrer werden als „Lehrer für einige, die besonderer Zuwendung bedürfen", wahrgenommen. Sie „fliegen" für einige Stunden „ein", sind keine Fachlehrer. In der Folge sehen die Schülerinnen und Schüler sie weder als Experten für ein bestimmtes Fach, noch als kontinuierliche Lernbegleiter an, da ihr Aufenthalt in den Klassen zeitlich eingeschränkt ist. Gleichzeitig werden die Klassengrößen von maximal 23 Schülerinnen und Schülern (im Gemeinsamen Unterricht) auf 27 erhöht. Die personelle Planung für künftige Jahrgänge 5 ist mit großen Unsicherheiten verbunden, da die Ressourcen an Schüler gebunden sind und je nach Art des Förderbedarfs differieren. Beispielsweise „bringt" ein Schüler mit Förderbedarf Geistige Entwicklung bis zu 8,9 Stunden „mit", eine Schülerin mit Förderbedarf Lernen lediglich vier. Verlässt einer dieser Schüler die Schule, werden die Förderstunden entsprechend noch weiter gekürzt. Des Weiteren erhalten Jugendliche mit rehaspezifischem Förderbedarf erst nach dem 10. Schulbesuchsjahr Unterstützung durch das Arbeitsamt. Die Ressourcen für diese Schülergruppe wurden gestrichen, d.h., dass man sie nach der 9. Klasse in Versorgungslücke entlässt.



Wie geht die ERS II mit diesen Herausforderungen um?
Zu erleben, wie ein gutes Modell durch neue Setzungen von außen kaputtgemacht wird, ist ein schmerzhafter Prozess für gesamte Schulgemeinde. Gemeinsam versuchten Eltern, Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler in teils öffentlichkeitswirksamen Aktionen und durch Einflussnahme auf verschiedenen Ebenen auf die Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die ERS II wird auch weiterhin den Weg der Einmischung in die öffentliche Debatte gehen, sieht sich aber aufgrund der realen Gegebenheiten auch mit der Frage nach dem 'Wie weiter?' konfrontiert.
Ein erster Schritt bestand darin, mit dem für die Schule zuständigen Beratungs-und Förderzentrum einen Kooperationsvertrag auszuhandeln, der zumindest für dieses Jahr planerische Sicherheit in Bezug auf die Förderlehrerstunden bietet.
Das Kollegium befindet sich in einem Diskussionsprozess darüber, wie die Schule weiter arbeiten soll. Es geht darum zu entscheiden, welche Mindeststandards aus Sicht einer erfahrenen Schule mit Gemeinsamem Unterricht für die erfolgreiche Arbeit mit allen Kindern erhalten werden müssen. Für die10.Klasse wurde bereits ein Konzept entwickelt, welches es Schülern mit Förderbedarf Lernen ermöglicht, ihren (Hauptschul-)Abschluss am Ende des 10. Schuljahres zu erreichen. Grundlage für die Fortführung dieses Modells ist eine verlässliche Stundenzuweisung auch in den nächsten Jahren. Darüber hinaus müssen bestehende Konzepte überarbeitet und den realen Bedingungen der inklusiven Beschulung angepasst werden. Dabei steht das Kollegium vor der Herausforderung, die guten Standards zu erhalten. Für viele Eltern, deren Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf haben, ist die ERS II die erste Wahl bei der Anmeldung an einer weiterführenden Schule. Die gute Tradition der individuellen Förderung im Gemeinsamen Unterricht ist auch für Eltern von Regelkindern ein wichtiges Kriterium bei der Schulwahl.



Die Ernst-Reuter-Schule II war nie ein ruhiger Ort. Sie lebt von der Kreativität der Kolleginnen und Kollegen, von einer engagierten und kämpferischen Elternschaft und sie erzieht junge Menschen, die sich für ihre Belange einsetzen. Die Chancen stehen gut, dass sich diese Schule auch unter schwierigen Bedingungen neu erfindet.

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